Schulversagen - die unnötige Krankheit
von Barbara Prashnig
11.07.2016
Könnten Lernstile ein Rezept dagegen sein?
Ein Phänomen, mehr als alles andere, scheint sowohl Lehrer als auch Eltern gleichermaßen zu verwirren: Warum beginnen manche Kinder bereits in der Grundschule zu versagen? Warum kommen viele Schüler gerade noch durch die Hauptschule/ Realschule/ Unterstufe des Gymnasiums, aber haben schon stark verminderte Lernmotivation? Und warum sind noch mehr Oberstufen-Schüler frustriert, spüren Langeweile, finden es äußerst schwierig, gute Noten in verschiedenen Themenbereichen zu erreichen und geben schließlich auf - überzeugt davon, Schule und Lernen ist nichts für sie. Eine solche Unfähigkeit, in der Schule erfolgreich zu sein, wird oft von Disziplinproblemen in der Klasse und Schwierigkeiten zu Hause begleitet, die im schlimmsten Fall zu Schulschwänzen, Alkohol, Drogen, Vorstrafen, Beteiligung an Banden oder extremistischen Gruppen sowie unsoziales Verhalten gegenüber sich und anderen führen.
Da dieses besondere Problem weltweit wächst, sollten wir herausfinden, warum diese jungen Leute in Gefahr sind, Schulaussteiger zu werden, Nachhilfe und psychologische Unterstützung brauchen, oder die Schule vorzeitig verlassen, und was getan werden kann, um ihnen zu helfen.
Schulversagen verhindern
Die weltweite Forschung über Lernstile und Fallstudien aus Schulen, die Lernstile verwenden, hat ergeben, dass Pädagogen diese negative Muster von schwachen Leistungen verändern und verhindern können, indem sie Stilunterschiede verstehen und mit passenden Methoden unterrichten. Eltern können auch zu einer positiveren Entwicklung ihrer Kinder beitragen, indem sie deren natürliche Lernbedürfnisse verstehen, diese entsprechend unterstützen und dafür sorgen, dass ihre Teenager nicht mit falschen ‚Freunden‘ zusammenkommen.
Analytische versus Holistische Stile
Analytische Schüler (kurz: Analytiker) mit einem links-dominanten Informationsverarbeitungsstil lernen völlig anders als Schüler mit einem rechts-dominanten Informationsverarbeitungsstil. Analytiker lernen sequenziell - also Schritt-für-Schritt, brauchen Details im Lernprozess, bevorzugen oft eine ruhige Lernumgebung, helles Licht, eine formelle Lernumgebung und neigen dazu, ihre Aufgaben fortzusetzen, bis sie ganz fertig sind. Das macht sie im Allgemeinen erfolgreicher in traditionellen Schulsystemen, die auf analytischen, logischen, wissenschaftlichen Lehrmethoden beruhen, und das verstärkt sich zu Hause auf ähnliche Weise.
Ganzheitlich denkende Schüler (kurz: Holistiker) haben jedoch einen rechts-dominanten, mehr gefühlsbetonten Denkstil, lernen ganzheitlich und im Vergleich zu Analytikern oft "von hinten beginnend". Sie brauchen das Gesamtbild, einen Überblick zuerst - ganz ohne Details, aber sobald sie das Konzept verstehen, sind sie in der Lage, sich auf Details zu konzentrieren. Sie bevorzugen beim Lernen etwas, das die meisten Lehrer und Eltern nicht verstehen und als Ablenkungen beschreiben würden: Hintergrundmusik oder Lärm, Konversation, sanfte Beleuchtung, bequemes Sitzen, Snacks, soziale Interaktion und viele Körperbewegungen.
Zerstreute Denker und Multi-Tasker
Ganzheitliche Lerner sind außerdem nicht sehr ausdauernd. Es ist nicht ihre Art und Weise, sich auf eine Sache zu konzentrieren bis sie diese verstehen - sie funktionieren viel mehr wie ein "Wirrkopf". Nur wenn etwas Sinn für sie macht, können sie sich auf Details konzentrieren; sie langweilen sie sich auch leicht und brauchen häufig Pausen. Gewöhnlich kehren sie zu ihrer Hausübung oder anderen Lernaufgaben zurück, arbeiten für eine kurze Zeit weiter und benötigen dann wieder eine Pause. Außerdem mögen es Holistiker nicht, sich nur mit einer einzigen Aufgabe zu beschäftigen. Stattdessen ziehen sie es vor, gleichzeitig an mehreren Aufgaben zu arbeiten und haben es am liebsten, wenn man ihnen erlaubt, ihren eigenen Arbeitsablauf und Zeitrahmen zu wählen.
Rechte Hirn-Dominanz
Desto jünger Kinder sind, umso mehr rechts-dominant sind sie. Deshalb brauchen sie ganzheitliche, rechts-dominante Unterrichtsmethoden, weil ihre analytischen Informations-Verarbeitungsfähigkeiten noch nicht entwickelt sind. Interessanterweise bleibt bei vielen Erwachsenen (die Forschung schätzt rund zwei Drittel der westlichen Weltbevölkerung) eine ganzheitliche Informationsverarbeitung der bevorzugte Denkstil im Laufe des Lebens. Die meisten Menschen haben gelernt zu analysieren und können analytische Denkprozesse anwenden, wenn sie müssen, aber das macht das Lernen schwerer und die Informationsaufnahme für sie viel schwieriger.
Allerdings zwingen Schulsysteme - basierend auf traditionellen, analytischen Lehrmethoden - junge Menschen ihr ganzes Lernen analytisch durchzuführen, weil dies der bevorzugte Unterrichtsstil ist - vor allem in akademischen Fächern an den meisten Schulen weltweit. Das Ergebnis ist, dass solche Systeme Schüler zum Scheitern verurteilen - vor allem diejenigen, deren Informations-Verarbeitungsstil stark holistisch/ganzheitlich ist, wie es der Fall bei vielen Burschen im Teenageralter und bei Eingeborenen wie Maoris in Neuseeland, Aborigines in Australien und vielen anderen zu sein scheint.
Nicht zusammenpassende Unterrichts- und Lernstile
Ein weiterer Faktor, der zur Nichtübereinstimmung zwischen Unterrichts- und Lernstilen beiträgt, ist die gut erforschte Tatsache, dass Pädagogen in ihren Ansätzen stark analytisch sind, mehr in Gymnasien als in Grundschulen (und mehr noch an Universitäten). Sie können sich nicht vorstellen, dass ihre speziellen Fachgebiete ganzheitlich präsentiert werden könnten, auf eine mehr rechts-dominante Art und Weise. Es ist einfach nicht in ihrem Denkschema! Solche LehrerInnen scheinen auch große Schwierigkeiten zu haben, akzeptieren zu können, dass es mehr als einen Weg gibt, etwas zu lernen, denn aufgrund ihrer eigenen, sequentiellen, links-dominanten Denkprozesse glauben Analytiker, IHRE Art und Weise sei die beste und die einzige.
Und dieser Irrglaube bewirkt, dass holistische Schüler scheitern, vor allem in den analytischen Fächern wie Mathematik, Naturwissenschaften, Ökonomie, etc. Dies wiederum verursacht Langeweile und Frustration und hat eine negative Wirkung auf die Gesamtleistung. Das scheint der Hauptgrund für Lern- und Verhaltensprobleme zu sein, welche dann oft zu den oben genannten sozialen Problemen unter Jugendlichen führt.
Lernstile von Schulversagern und Schulaussteigern
Neben den grundlegenden Unterschieden zwischen holistischen und analytischen Lernenden haben internationale Forschungsergebnisse und Studien in den Vereinigten Staaten deutlich gezeigt, dass die Lernstile von Schulversagern und Schulaussteigern signifikant verschieden sind von Schülern, die in der Schule verblieben waren. Es gibt acht Lernstil-Elemente, welche diese Lerner statistisch unterschieden.
Die acht starken Bedürfnisse von Schulaussteigern sind:
- Bewegung in regelmäßigen Abständen;
- Eine Vielzahl von Lehrmethoden für Schüler mit niedrigen auditiven und visuellen Sinneswahrnehmungen, die aber starken Präferenzen für taktiles/kinästhetisches Lernen (Hands-on-Aktivitäten) und ein starkes Bedürfnis nach Vielfalt haben, anstatt Routinen und Muster zu nutzen;
- Schwierige Inhalte zu anderen Zeiten zu lernen, anstatt in den frühen Unterrichtsstunden am Morgen;
- Anerkennung für ihre hohen Motivation trotz ihrer Unfähigkeit, durch konventionelle Methoden zu lernen; positives Feedback anstelle von Ermahnungen;
- Kollegiale statt autoritäre LehrerInnen;
- Unterrichtsmittel, welche neue und schwierige Informationen durch multi-sensorische (kinästhetische, taktile, visuell, auditive) Methoden das Lernen erleichtern und attraktiver machen;
- Bequeme Klassenzimmermöbel, um auf ihre Unfähigkeit zu reagieren, nicht mehr als 10-12 Minuten auf Kunststoff- oder Holzstühlen sitzen zu können, und ihrem starken Bedürfnis nach Bewegung Rechnung zu tragen
- Gedämpfte Beleuchtung, da Leuchtstoffröhren in Klassenzimmern sie unruhig machen.
Aus unserer internationalen Arbeit mit Lernstilen wissen wir, dass die gleichen Eigenheiten für Schulversager überall gelten. Sie werden unweigerlich zu Risiko-Schülern oder Schulaussteigern, wenn ihre Lernbedürfnisse über längere Zeiträume nicht abgedeckt werden. Wenn jedoch Schulen die Lernstile ihrer Schüler herausfinden, Pädagogen so ausgebildet werden, dass sie sich über die Vielfalt in der Klasse bewusster werden und im Unterricht auf Lernstile abgestimmte Methoden verwenden, würden weniger Schüler Frustration und die Unfähigkeit erleben und in akademischen Fächern erfolgreich sein.Wenn auch Eltern die wahren Lernbedürfnisse ihrer Kinder fördern, würde auch zu Hause das Lernen erfolgreicher werden.
Dies könnte sehr wohl ein Rezept gegen Schulversagen sein.
Leser, die an der Unterstützung leistungsschwacher Schüler interessiert sind, finden mehr dazu in Barbara Prashnigs Buch "Lernstile und Personalisierter Unterricht" - erfolgreich akademisch zu unterrichten und individuell zu lernen kombiniert mit einer Fülle von Informationen.
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Professor Barbara Prashnig, ein Pionier und Visionär in Sachen Stilunerschiede beim Lernen und Arbeiten sowie persönlicher Weiterentwicklung. Ihre Leidenschaft ist es, Menschen in schwierigen Situationen durch besseres Selbst-Verstehen zum Erfolg zu verhelfen. Sie ist Gründer und CEO von Creative Learning Systems in Auckland, Neuseeland.